So plötzlich wie der Sturm gekommen war, so plötzlich hörte er nach einem Monat angeblich wieder auf: Die »Decisive Storm« getaufte Luftangriffsoffensive einer von Saudi-Arabien angeführten Koaliation gegen die schiitischen Houthi-Milizen und die mit ihnen verbündeten Kämpfer des ehemaligen jemenitischen Präsidenten Ali Abdullah Saleh wurde am Dienstag vergangener Woche für beendet erklärte. Die Verblüffung war allenthalben groß. War schon unklar gewesen, was genau das »entscheidende« Ziel des ganzen Unternehmens sein sollte, war nun noch rätselhafter, was die Saudis nach rund 2 000 Luftangriffen erreicht haben wollten. Umgehend machten im Jemen Witze die Runde, die sprunghafte saudische Kriegsführung sei wohl mit einer Alzheimer-Erkrankung des neuen saudischen Königs Salman zu erklären, der 80 Jahre alt ist.
Die saudische Führung jedenfalls sprach unbeirrt davon, man habe die militärischen Ziele erreicht und wolle sich nun auf den politischen Prozess konzentrieren. Dafür wurde »Decisive Storm« in »Restoring Hope« umbenannt und ein saudischer Prinz lobte 100 Bentleys als Belohnung für saudische Kampfpiloten aus. Der Name »Restoring Hope« ist vielleicht etwas unglücklich gewählt, erinnert er doch an den gleichnamigen Beginn der US-Kampagne in Somalia 1992/93, die mit »Black Hawk Down«, dem Tod von 18 Soldaten, zu einem Desaster für die USA wurde, während Somalia bis heute das Paradebeispiel für einen failed state geblieben ist.
Die direkten militärischen Ergebnisse scheinen jedenfalls kurzfristig eher zuungunsten der Saudis ausgefallen zu sein. Die Houthis und Salehs Truppen rückten bis in die südjemenitische Metropole Aden vor, sie kontrollieren große Teile der nordjemenitischen Großstadt und der Provinz Taiz und sind weit in die von sunnitischen Stämmen kontrollierten Provinzen von Shabwa und Marib vorgedrungen. Gerade Marib im Osten des Nordjemen ist seit jeher ein semiautonomes Machtzentrum in Opposition zur Hauptstadt Sanaa, dessen Stämme für saudische Subsidien immer empfänglich waren. Nun wird dort überall gekämpft und es ist wahrscheinlich, dass die Streitkräfte der Houthis und Salehs gerade wegen ihres scheinbar unaufhaltbaren Vormarsches ihre Ressourcen irgendwann einmal erschöpft und ihre Versorgungslinien überdehnt haben werden.
Der ursprüngliche Plan der Saudis wird jedoch kaum so verwickelt gewesen sein, das wäre selbst für den Nahen Osten etwas zu komplex. Vermutlich hatten sie gehofft, den Gegner militärisch zu bremsen und so gleichzeitig in Aden einen Herrschaftsraum für die international anerkannte Regierung von Präsident Abd Rabbuh Mansur Hadi zu schaffen. Der musste sich jedoch, kurz bevor die Houthis Aden erreichten, nach Saudi-Arabien absetzen, so dass die offizielle jemenitische Regierung wenig glaubwürdig von Riad aus agieren muss, zumal es vermutlich kaum noch Truppen und Kämpfer gibt, die explizit in ihrem Namen kämpfen. In Aden scheinen vor allem Einwohner Widerstand zu leisten, die eher zur Forderung einer südjemenitischen Unabhängigkeit neigen dürften, je länger die Invasion aus dem Norden andauert.
Die großen Gewinner des saudischen Bombardements waren bisher die Jihadisten von al-Qaida, die ihre Position im Südjemen erheblich ausbauen konnten. Der regionale al-Qaida-Ableger, al-Qaida auf der arabischen Halbinsel (Aqap), übernahm die Kontrolle in der Küstenstadt Mukalla – der nach Aden größten und wichtigsten Hafenstadt des Südjemen – und ging offensichtlich im Zeichen des Widerstands gegen die Houthis ein Bündnis mit den Stämmen des Hadramaut ein, einem langestreckten fruchtbaren Tal, welches das Hauptsiedlungszentrum im ansonsten eher menschenleeren Osten des Südjemen darstellt.
Es stellte sich im Übrigen schnell heraus, dass der Namenswechsel bei der saudischen Intervention praktisch kaum einen Unterschied bedeutet. Bombardiert wird weiterhin, allerdings in etwas kleinerem Maßstab, vermutlich auch, weil den Kampfflugzeugen die großen Ziele ausgegangen sind. Militärbasen und Präsidentenpaläste liegen in Trümmern, auch eine Reihe von Hospitälern und selbst eine Kleenex-Fabrik in Sanaa wurden zum Ziel. Den offiziellen Schlusspunkt der Kampagne setzte eine gigantische Explosion auf der Militärbasis von Faj Attan in Sanaa. Dort sollen Jemens Scud-Raketen sowie große Munitionsvorräte lagern.
Das angrenzende Stadtviertel gehört wohl zu den von den Luftangriffen am stärksten betroffenen Gebieten. Nach der Zählung der Weltgesundheitsorganisation WHO waren rund 1 000 Tote und über 4 000 Verletzte zu beklagen. Das sind jedoch allein die unmittelbaren Opfer, dazu kommen die Betroffenen der allerorten ausgebrochenen Kämpfe, die etwa in Marib die schwersten seit der jemenitischen Revolution in den sechziger Jahren sein sollen. Auch die Bilder von brennenden Wohnhäusern und Straßenkämpfen in Aden lassen Düsteres befürchten.
Als verhängnisvoll dürften sich auch die Infrastrukturschäden und die sich abzeichnende Versorgungskrise erweisen; die Hauptstromquelle für den Nordjemen, ein Kraftwerk in Marib, fiel infolge der Zerstörung der Hauptleitung aus. In Hodeidah, der wichtigsten Hafenstadt des Nordjemen, soll den 500 000 Einwohnern wegen Ausfalls der Pumpen die Wasserversorgung abgestellt werden. Dem Jemen drohe ein Kollaps des Gesundheitswesens, warnte die WHO. Zur Unterbrechung aller Kühlketten und Benzinmangel tritt das Versorgungsproblem eines Landes, das 90 Prozent seiner Nahungsmittel importieren muss. Hier wird sich schnell zeigen, was die von Saudi-Arabien angekündigte See- und Luftblockade tatsächlich bedeutet – die nominell gegen vermeintliche oder tatsächliche Waffenlieferungen des Iran gerichtet ist.
Die Rolle der USA bei diesen Vorgängen ist unklar. Bisher hat es Präsident Barack Obama, der den Jemen noch im vergangenen Jahr als »Erfolgsmodell« geprießen hatte (Jungle World 8/2015), vermieden, eine Jemen-Strategie auch nur erahnen zu lassen. Die US Navy hat einen Flugzeugträger entsandt, dessen Aufgabe seltsam vage beschrieben wird. Ein Sprecher des Pentagon erklärte, es sei »etwas überspitzt«, davon zu sprechen, die US-Schiffe sollten iranische Waffenlieferungen abfangen. Vermutlich tut Obama also wieder nur so, als täte er etwas. Insofern ist im Jemen alles beim Alten geblieben, außer dass die Verhältnisse noch ungewisser und potentiell verheerender geworden sind. Das Drama wird sich fortsetzen.
Der undurchschaubare und jahrzehntelang erfolgreiche Taktierer Saleh forderte von den mit ihm verbündeten Houthis eine Einstellung der Kampfhandlungen und Verhandlungen in Genf, die ihm ein weites Feld für Intrigen und verwinkelte Schachzüge eröffnen würden. Die Houthis murren über ihren Verbündeten Saleh und dessen angebliche Verständigungsbereitschaft gegenüber den Saudis. Diese wiederum werfen fleißig Waffen und Munition für Stammeskrieger über dem Jemen ab, die allerdings manchmal im Gebiet der Houthi-Kämpfer landen.
UN-Generalsekretär Ban Ki-moon hat nach dem glücklosen Jamal Benomar, der ins Visier der Saudis geraten war, einen neuen Sondergesandten für den Jemen ernannt, den Mauretanier Ismail Ould Cheikh Ahmed. Er wird wohl nicht der letzte Sondergesandte der UN bleiben. Und die USA haben ihren Drohnenkrieg nach ein paar Wochen Zwangspause – das im Jemen stationierte Personal musste evakuiert werden, bevor al-Qaida den Stützpunkt eroberte – wieder aufgenommen. Angeblich hat es mit Nasr al-Ansi bereits einen hochrangigen Führer von al-Qaida getroffen, aber sicher ist das nicht. Sicher ist nur, dass es weitere Katastrophenmeldungen aus dem Jemen geben wird.
Erschienen in der Jungle World 18/15